Was wird aus Berlins Kleingärten?
Seit
Donnerstag früh, sieben Uhr, setzen Ulf Maaßen und seine
„Baugemeinschaft Himmel und Erde“ ihr zerstörerisches Werk auf
dem ehemaligen Gelände der KGA Famos fort, wo bereits 18 Kleingärten
planiert wurden. Erneut wütet hier der Bagger, um das Grün, das
sich die letzten Monate wieder auf dem Gelände breitmachte,
niederzuwalzen und eine Baugrube auszuheben, damit die Investoren
endlich alles zubetonieren können, um weitere 72 Eigentumswohnungen
auf dem Berliner Immobillienmarkt zu verhökern, als „Ökoprojekt
mit Weitblick“, zum „Wohnen im Grünen“.
Wer
sich heute noch in seiner Altbauwohnung oder Kleingartenidylle sicher
fühlt, kann morgen schon die Kündigung bekommen. Die
Immobilienwirtschaft bläst zum Großangriff auf die knapp 73.000
Berliner Kleingärten. Berlins Senator für Stadtentwicklung und
Umwelt, Michael Müller (SPD), verkündete zu Weihnachten, die
Innenstadtgärten und andere Grünflächen sollen geopfert werden,
wir bräuchten den Platz für mehr Wohnungen. Sein Staatsekretär
Ephraim
Gothe, Chef der neuen Wohnungsbau-Leitstelle, ergänzte „Berlin hat
genügend Flächen in guten Lagen“. „Leider gibt es jedoch keine
konfliktfreien Flächen“. 90.000 Wohnungen sollen gebaut werden,
wie es der Flächennutzungsplan vorsieht, angeblich
um die Wohnungsnot zu lindern.
Für
die Metropole Berlin und die Stadtökologie erfüllen die Kleingärten
ebenso wie alle andern Grünflächen unverzichtbare Funktionen als
„Grüne
Lungen“ und „Staubfilter“
für das Klima in der Stadt, da der
vielfältige
Pflanzenbewuchs
Staub und Feinstaub bindet. Gleichzeitig befeuchtet und kühlt er die
Luft im Sommer.
Durch
die unversiegelte
Bodenfläche, die Regenwasser aufnimmt, das direkt in den Boden
gelangt und dabei auf natürlichem Weg gefiltert
wird,
verbessert sich die Qualität des Grundwassers ohne die Kläranlagen
zu belasten und Kosten zu verursachen.
Dies wirkt sich nicht nur
lokal in der näheren Nachbarschaft aus, sondern auf das gesamte
Stadtgebiet als Großraummetropole. Viele Gartenanlagen liegen
entlang großer Verkehrswege, z.B. an Hauptverkehrsstraßen,
Autobahnen, Flüssen und Kanälen, Bahn- und S-Bahn-Linien. Diese
langen Schneisen bilden Windkanäle. Fehlt das Grün entlang solcher
Trassen, fehlen die Kühlung, Befeuchtung und Filterfunktion und
diese Windkanäle transportieren stattdessen trockene, aufgeheizte
Luftmassen voller Staub und Feinstaub durch die Stadt.
Vor 180 Jahren als
„Armengärten“ entstanden, wuchs die Zahl der Kleingärten in
Berlin bis 1925 auf über 165.000 Parzellen auf 6.239 Hektar. Seit
den sechziger Jahren hat sich der Zahl der Kleingärten halbiert. In
den letzten 16 Jahren gingen 10.000 Kleingärten verloren, jährlich
ca. 600 Parzellen.
Damals
wie heute erfüllen die Kleingärten für die Berliner_innen viele
wichtige Funktionen, die Berlin erst lebenswert machen. Sie
ermöglichen nicht nur allen
Stadtbewohner_innen, unabhängig vom Einkommen, einen eigenen Garten
für wenig
Geld zu pachten, im Gegensatz zu Eigenheimen mit Garten, die nur
„besser Verdienenden“ zur Verfügung stehen. Die Kleingärten
sind darüber hinaus öffentliche Grünanlagen und
Naherholungsgebiet für die ganze
Bevölkerung,
und bieten damit Allen eine dringend notwendige Ergänzung der
beengten Wohnverhältnisse in den städtischen Mietshäusern.
Sie sind schützenswerte
Grünflächen, und bieten seit über
100 Jahren Lebensraum
für zahlreiche, heute bedrohte Tiere.
Sie ermöglichen die Selbstversorgung
der Anwohner_innen mit gesundem „Bio“-Obst und Gemüse, bei
gleichzeitiger körperlichen Betätigung an der frischen Luft und
direkter Verbindung mit Natur und Umwelt. Darüber hinaus bieten sie
praktisches Erlernen bewährter Fähigkeiten, z.B. im Umgang mit der
Natur und Nahrungsmitteln, Heilpflanzen, Tierwelt und Mikrokosmos,
bis hin zu handwerklichen
Kenntnissen, die sonst unwiederbringlich verloren gehen.
Vorher... Bildmaterial:
KGA Famos
Die Grundstückspreise
der zu Bauflächen umgewandelten Kleingärten steigen jedoch auf das
40-100fache. Dadurch wird der Druck auf den Wohnungsmarkt, durch die
daraufhin steigenden Mieten, dramatisch erhöht, anstatt ihn zu
entlasten. Die meisten der bisherigen Bewohner_innen der Umgebung von
überbauten Kleingärten, zu denen auch die Kleingärtner_innen
selbst gehören, werden vertrieben. Gleichzeitig schrumpft die
Lebensqualität für die übriggebliebenen und neu hinzugezogenen
Bewohner_innen durch die Zerstörung der Grünflächen und
gewachsenen Kiezstrukturen.
Selbst in den dünn
besiedelten Außenbezirken, wo die meisten Kleingartenanlagen liegen,
geht es um die Vertreibung der Menschen, die dort jetzt wohnen oder
auch nur ihren Garten haben, weil sie vielleicht im Prenzlauer Berg
oder einem anderen Innenstadtbezirk wohnen, wo es kaum noch
Grünflächen gibt.
Allein
in
Pankow gibt es mehr als 10.000 Parzellen mit einer Grünfläche von
ca. 500 Hektar, (5 Mio. Quadratmetern), davon sind etwa die Hälfte
in privater Hand, und gelten somit als nicht gesichert, also
potentiell durch Bebauung bedroht. Die Deutsche Bahn zwingt
Kleingartenvereine und Bezirksverbände ihre Gartengrundstücke zu
kaufen, sonst gehen sie an den Meistbietenden.
Es werden auch besonders viele 1-2
Familienhäuser gebaut, (55% der Wohngebäude in Berlin sind 1-2
Familienhäuser) mit Vorliebe in Gartensiedlungen, da das Gelände
dort auch bereits erschlossen ist. Auf einigen ehemaligen
Kleingartenanlagen stehen nun Musterhäuser, dabei wurde vielen
Kleingärtnern vorgeworfen sie würden dort unter anderem auch
wohnen, das wurde ihnen zum Verhängnis. Jetzt wohnen da Andere in
Einfamilienhäusern.
„Der
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Berliner
Mieterverein (BMV) und der Verband der Gartenfreunde warnten ... vor
einer Bebauung wichtiger Grünflächen und forderten zugleich den Bau
preisgünstiger Wohnungen.“ „Kleingartenanlagen
dürfen dem Bauboom nicht geopfert werden, sie tragen zu einem großen
Teil zur hohen Lebensqualität in Berlin bei“, sagte Günter
Landgraf, Vorstand des Landesverbandes der Gartenfreunde.“
(Berliner
Zeitung 3.5.2013)
...Nachher
Bildmaterial:
KGA Famos
Auf
den Erhalt des Stadtgrüns wird offenbar keine Rücksicht mehr
genommen. Der Berliner Senat will jetzt vor allem die Verfahren für
Baugenehmigungen beschleunigen: „ ...
die bürokratischen Hürden bei Neubauten senken. Private Investoren,
die Bezirke und die Baugesellschaften bekommen eine zentrale
Anlaufstelle - die neue Wohnungsbauleitstelle. Sie soll koordinieren,
moderieren, Prozesse beschleunigen und Mittler zwischen öffentlichen
Stellen auf Bezirks- wie Landesebene und den Privaten sein. Die
CDU will zudem Prämien - 500 Euro pro Wohnung - für zügige
Baugenehmigungen in den Bezirken zahlen. Dafür müsse die
Genehmigung sechs Monate nach Einreichung aller erforderlichen
Unterlagen ausgesprochen werden.“ (rbb-online.de
2.5.2013)
Entwicklung der
Kleingärten in Berlin
Jahr
|
1997
|
1998
|
1999
|
2000
|
2001
|
2002
|
2003
|
2004
|
2005
|
2006
|
2007
|
2008
|
2009
|
2010
|
2011
|
2012
|
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Anzahl
|
83198
|
82638
|
82293
|
82160
|
81785
|
79873
|
79059
|
76576
|
76752
|
76165
|
75276
|
74526
|
74526
|
74094
|
73694
|
73426
|
Hektar
|
3561
|
3509
|
3501
|
3496
|
3502
|
3365
|
3310
|
3155
|
3161
|
3137
|
3091
|
3064
|
3064
|
3046
|
3030
|
3018
|
Wir fordern dagegen mehr
Transparenz und die Beteiligung der Öffentlichkeit bei allen
Bauvorhaben, insbesondere wenn Grünflächen und Kleingärten
zerstört werden!